Leseprobe

 

 

Veröffentlicht auf WattpadInkitt und FanFiktion.

Nach Norden

 

Die Hufe der Pferde erzeugten kaum Geräusche auf dem festen, lehmigen Boden; die Tritte wurden von dem Knirschen des Wagens übertönt, mit dem Adhamh und Leith ihre Waren transportierten. Die beiden Händler sprachen unentwegt miteinander, als reiche ihnen das Knarren der hölzernen Räder nicht, als müssten sie die Welt um sich herum mit Geräuschen füllen. Wulfger saß auf seinem Pferd und ritt ihnen voran, Skramur und seine fünf Söldner folgten dem Wagen und blieben unter sich.

Wulfger war vor zwei Tagen auf die Händler und ihre Eskorte gestoßen. Er befand sich auf dem Weg nach Norden, zu den Festungen am Rande der nördlichen Ebenen, um eine Nachricht seines Herrn Nabor zu überbringen, als er die Männer getroffen hatte.

"Wir sind auf dem Weg nach Vlakas", hatte Adhamh erklärt.

"Nabrils Stadt?"

"Ihr wart schon dort, Krieger?", fragte Leith.

Wulfger schüttelte den Kopf. "Nein, ich war noch nicht dort. Aber ich kenne Nabril, und ich kenne Tiernan, der in seinen Diensten steht."

"Ein mächtiger Zauberer, dieser Nabril", sagte Adhamh und rieb sich die Hände. "Es heißt, der Markt von Vlakas floriert. Wir hoffen, dort gute Geschäfte zu machen."

Wulfger nickte. "Vlakas ist eine große Stadt."

"Wollt ihr uns nicht begleiten?", fragte Leith. "Die Wege sind voller Gefahren, und es ist gut, einen kampferprobten Krieger an seiner Seite zu haben."

"Ihr habe genügend Männer, euch zu schützen", erwiderte Wulfger, mit einem Blick auf Skramur und seine Männer. "Sie scheinen mir tüchtig."

"Das sind sie", versicherte Leith eilig. "Sie haben schon den einen oder anderen Schaden von uns abgehalten. Aber ein kampferprobter Krieger ist etwas anderes."

"Ihr seid doch kampferprobt?", hakte Adhamh nach. "Versteht mich nicht falsch, Herr Krieger. Aber ihr scheint mir noch sehr jung."

Wulfger lachte. "Ehrliche Worte aus dem Munde eines Händlers."

Adhamh warf ihm einen säuerlichen Blick zu, aber Wulfger winkte ab.

"Nehmt es mir nicht übel, Meister Adhamh", sagte er. "Ein unbedachter Scherz. Aber, ja, ich bin kampferprobt. Ich mag jünger scheinen, als ich bin; wir Krieger altern langsamer als magisch Unbegabte. Ihr dürft mir glauben: ich habe meine Erfahrungen gesammelt."

"Viele Kämpfe?", fragte Leith.

"Genug, um zu wissen, dass andere Wege häufig besser sind."

Wulfger hatte auch mit Skramur gesprochen. Skramur war noch jung, aber ebenfalls nicht unerfahren, und er hatte einen guten Eindruck auf Wulfger gemacht: er schien ruhig und besonnen. Gemeinsam mit Tomasz, seinem Adjutanten, führte er die kleine Söldnertruppe zielstrebig und effizient.

Je weiter sie nach Norden kamen, desto unruhiger wurden die beiden Händler.

"Habt ihr im Norden gedient, Herr Krieger?", fragte Adhamh Wulfger und riss ihn damit aus seinen Gedanken.

"Ja." Wulfger nickte. "Zwei Jahre bei den Grenzeinheiten. Pflicht für jeden Krieger."

"Habt ihr viel mit Orks zu tun gehabt?"

Wulfger drehte sich im Sattel um. Adhamh und Leith saßen vornübergebeugt auf dem Kutschbock ihres Karrens, Adhamh hielt die Zügel in den verkrampften Händen.

"Ich habe mit Orks zu tun gehabt", antwortete Wulfger nach einer kurzen Pause.

Die Händler schwiegen einen Moment, warfen sich einen unsicheren Blick zu.

"Wir waren noch nicht im Norden", gestand Adam schließlich.

"Ihr fürchtet Angriffe von Orks", stellte Wulfger fest.

Adhamh und Leith nickten. "Orks, Räuber, nennt es beim Namen. Deshalb haben wir Skramur und seine Männer angeheuert."

"Räuber sind sicherlich eine Gefahr", stimmte Wulfger zu. "Aber Orks? Euer Weg wird euch nicht weit genug nach Norden führen, wenn ihr nach Vlakas wollt."

"Also keine Gefahr?"

"Unwahrscheinlich." Wulfger schüttelte den Kopf und sah die Erleichterung in den Blicken der Händler. "Es gibt nicht mehr viele von ihnen." fuhr Wulfger fort. "In meiner Zeit im Norden habe ich nur wenige gesehen. Sie verstecken sich in den Höhlen der Nordgebirge, hausen tief unter dem Fels. Wenn sie herauskommen, dann bleiben sie in der Nähe ihrer Behausungen. Sie streifen nicht weit umher."

"Also nur Räuber?" Leith lachte.

"Hauptsächlich Räuber."

"Was macht ihr im Norden, Herr Krieger?", fragte Adhamh nach einer Weile. "Seid ihr auf dem Weg zu eurem neuen Herrn?"

Wulfger schüttelte den Kopf. Er dachte an die Zentralgebiete, dachte an Nabor. "Nein, kein neuer Herr. Ich bin schon seit Jahren im Dienst meines Herrn Nabor. Er hat mich in den Norden gesandt, um eine Nachricht zu überbringen."

"Ein Krieger für eine Nachricht?" Leith machte große Augen. "Das muss eine wichtige Nachricht sein."

Wulfger zuckte mit den Achseln. "Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Die Wege meines Herrn sind mir nicht immer verständlich. Er hat mich nicht zur Eile angehalten. Aber er hat einen Grund. Soviel ist sicher."

"Wer ist dieser Nabor?", fragte Adhamh. "Ebenfalls ein Zauberer?"

"Ja." Wulfger nickte.

"So mächtig wie Nabril?", hakte Leith nach. "Nabrils Name ist in der Welt bekannt, aber Nabor? Ich habe noch nie von ihm gehört."

"Mein Herr Nabor führt ein zurückgezogenes Leben", antwortete Wulfger lächelnd.

"Ein einfacher Magier", raunte Leith Adhamh zu. Sie wirkten enttäuscht. Einfache Krieger dienten einfachen Magiern. Mächtige Krieger standen in Diensten mächtiger Magier. Offensichtlich hatten sich die beiden von Wulfger mehr erhofft.

Wulfger schwieg wieder, während die Händler tuschelten. Er warf einen Blick zurück und sah Skramur und seine Männer hinter dem Karren. Skramur lächelte leise. Er schien das Gespräch verfolgt zu haben.

Der Karren knirschte langsam voran, die Männer unterhielten sich. Dann zögerte das Gespann plötzlich, die Pferde schnaubten unruhig, spitzten ihre Ohren.

"Was ist los?", fragte Adhamh nervös.

"Riecht ihr es nicht?"

"Riechen?"

"Wildschweine", erklärte Skramur von hinten. "Eine Rotte. Dort drüben im Wald."

"Wo?" Leith und Adhamh versuchten zwischen den Bäumen etwas zu erkennen, aber der Wald war dunkel, undurchdringlich.

"Zehn Tiere, den Spuren nach zu urteilen", sagte Wulfger. "Vielleicht mehr. Sie sind vor wenigen Minuten über den Weg gezogen. Die Pferde mögen das nicht."

"Ich auch nicht", murmelte Adhamh.

"Die Wildschweine haben kein Interesse an eurem Wagen", lachte Wulfger.

Sie setzten ihren Weg fort, aber schon nach wenigen Metern scheuten die Pferde. Wulfger sah sich um, spähte in den Wald, konzentrierte sich auf die Energien in seiner Umgebung. Ihm fiel nichts auf. Dann sah er den jungen Mann, der einige Meter vor ihnen aus dem Dickicht trat. Groß, bleich, schmal. Seine Haare klebten matt an seinem Kopf, als hätte er die Nacht im Dreck geschlafen, seine Augen waren dunkel und eingefallen, sein Blick finster und feindselig.

Wulfger legte die Hand auf den Knauf seines Schwertes. Skramur ritt an dem Wagen der Händler vorbei und gesellte sich zu ihm.

"Wer ist das?", fragte Leith.

Wulfger und Skramur ignorierten sie und ritten gemeinsam voran, stoppten dann ihre Pferde.

"Wer bist du?", fragte Wulfger den jungen Mann.

Der starrte feindselig zu ihm herauf. Sein Hemd war schmutzig, eingerissen; seine Hose ebenso. Seine Schuhe waren marode.

"Was ist das an deinem Hals?" Wulfger wies auf eine dunkle Wunde.

Die Hand des jungen Mannes wanderte zu seinem Nacken hinauf und betastete den dunklen Fleck. Es blutete nicht, schien verheilt, war aber nicht in gutem Zustand.

"Brauchst du Hilfe? Bist du verletzt?"

Der Fremde hatte noch nicht geantwortet. Skramur zog sein Schwert, aber Wulfger legte ihm eine Hand auf den Arm und schüttelte den Kopf. Er spürte Trauer in dem jungen Mann, spürte Verlorenheit, aber er spürte keine Gefahr.

"Die Wildschweine", stieß der Fremde schließlich hervor. Seine Stimme klang dumpf, krächzend, hohl, ungeübt, als habe er sie schon lange nicht mehr verwendet.

"Dort drüben." Skramur wies den Weg.

Der Blick des jungen Mann folgten dem ausgestreckten Arm, sein Gesicht verhärtete sich, wurde noch düsterer.

"Haben die Wildschweine dich verletzt?", fragte Wulfger. "Wie lange ist das her? Deine Wunde sieht nicht gut aus."

Der Fremde warf ihm einen durchdringenden Blick zu, dann überquerte er den Weg langsam und trat auf der anderen Seite wieder in den Wald hinein. Er ging geradewegs in die Richtung, in der sie die Wildschweine vermuteten, als wollte er sich zu der Rotte gesellen.

Wulfger und Skramur folgten ihm mit ihren Blicken, aber irgendwann verlor er sich wieder im Dunkel des Waldes.

"Wer war das?", rief Adhamh hinter ihnen.

Wulfger wandte sich nach den beiden Händlern um, die ihn mit großen Augen anstarrten. Er zuckte mit den Achseln.

"Ich weiß es nicht."

"Der Mann ist mir unheimlich." Leith schüttelte sich. "Habt ihr seine Augen gesehen?"

"Tote Augen", murmelte Adhamh.

"Traurige Augen", sagte Wulfger. "Er hat schlimmes erlebt."

"Er sah aus, als hätte er eine Aufgabe", stellte Skramur fest.

Wulfger nickte. "Ja, so sah er aus."

Dann warf er noch einen Blick auf die Händler, die unruhig in den Wald starrten; dorthin, wo der junge Mann verschwunden war.

"Wir ziehen weiter."

Skramur nickte, die Händler atmeten erleichtert auf. Sie setzten ihren Weg fort, und nach einer Weile war der Geruch der Wildschweine aus ihren Nase verschwunden.


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